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TRIGGER GEFAHR

 

Was ist SVV?

Die Abkürzung SVV steht für SelbstVerletzendes Verhalten und ist entgegen der Annahme relativ weit verbreitet. Die Betroffen verletzten sich selbst mit Hilfe von scharfen oder spitzen Gegenständen, durch Verbrennen, Verbrühen oder sonstigem Zufügen von Wunden mit oder auch ohne jeglicher 'Hilfsmittel'. Es ist keine suizidale Absicht vorhanden.

 

Warum macht ein Mensch so etwas?

SVV ist der sichtbare Ausdruck eines seelischen Notstandes und in der Regel kein Mittel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Selbstverletzungen stellen für sich allein genommen keine Krankheit dar, sondern sind lediglich ein Symptom, und treten immer vergesellschaftet mit einer weiteren psychischen Störung oder Krankheit auf. Das können Depressionen, Angstzustände, Essstörungen, Traumatisierungen, Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ usw. sein. Obwohl bei SVV oft Todessehnsüchte auftreten, besteht keine direkte Selbstmordgefahr. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es im fortgeschrittenen Stadium von SVV mit tiefen, unkontrollierten Schnitten durch Unfälle natürlich zu Todesfällen kommen kann. Im Rahmen der Borderline-Persönlichkeitsstörung besteht hingegen immer ein Selbstmord-Risiko. Menschen, die sich selbstverletzen, stehen unter einem hohen, nicht mehr aushaltbaren emotionalen Druck. Gefühle von Wut, Angst, Trauer, Frustration oder Hilflosigkeit richten sie nicht, wie es oft bei "normaler Erregung und Aggressivität" der Fall ist, gegen andere Menschen oder Gegenstände, sondern gegen sich selbst. SVV muss als eine (hilflose) Art von Selbstfürsorge betrachtet werden, weil es dazu dient Druck, Spannung und Stress abzubauen und weitere Gefährdungen abzuwenden. Das Hinzufügen von körperlichen Schmerzen überdeckt die seelischen Qualen und wirkt dadurch befreiend. Es wirkt besser und zuverlässiger als Medikamente und Gespräche. Den Selbstbeschädigungs-Episoden gehen oft konkrete Versagensängste, Misserfolge, emotionaler Druck, aber auch Selbsthass, intensiv empfundene Einsamkeit oder soziale Isolation voraus. Selbstverletzungen geschehen in der Regel zurückgezogen in einem abgeschiedenen Raum. Sie finden selten spontan statt, sondern häufig erst nach längerem inneren Kampf gegen den Impuls sich zu verletzen. Experten sprechen beim Akt der Selbstverletzung von einer Dissoziation oder auch Selbstentfremdung, was bedeutet, dass die Betroffenen, wenn sie sich verletzen, die Realität nicht mehr wahrnehmen und kein Körpergefühl haben. Sie sind aufgespalten in einen handelnden und einen wahrnehmenden Teil. Sie spüren sich nicht, betrachten ihren Körper praktisch von außen wie einen Fremden. Das erklärt auch, warum sie während des SVVs in der Regel keinen Schmerz empfinden. Die Verletzungen geschehen oft zwanghaft, wie in Trance, manchmal fehlt sogar die Erinnerung daran. Es kann wie ein autistischer Zustand sein. Mit dem Setzen des Schnittes und wenn das Blut fließt, erfolgen Entspannung und Erleichterung, und die Dissoziation wird beendet. Körper und Seele sind wieder eins. Die gefühlte innere Leere verschwindet vorübergehend, Erleichterung und Zufriedenheit kehren ein, und es können wieder klare Gedanken gefasst werden. Eine Suizidgefahr wird durch diesen Mechanismus abgewendet. Mit der Realisierung der neuen Wunden entstehen Scham sowie Wut und Frustration über die eigene Schwäche und Angst vor sozialer Ächtung. Druck baut sich erneut auf. Der Teufelskreis beginnt von vorn. Das Symptom SVV kann sich verselbständigen und beginnen, ein Eigenleben zu führen. Die Gedanken kreisen nur noch um das sich Selbstverletzen - ohne konkreten Auslöser. Man spricht dann von einer Generalisierung.

Statistiken

Die angegebenen Zahlen sind alle unter Vorbehalt zu betrachten, da sie zum Teil geschätzt sind oder sich auf einzelne Gruppen beziehen und daher keine objektiven bzw. statistisch abgesicherten Ergebnisse liefern können. Sie geben aber sehr wohl deutliche Tendenzen wieder. Vorkommen: SVV wird nach Expertenschätzungen in Deutschland mit einer Häufigkeit von 0,7 bis neuerdings sogar 1,5% (das entspricht 600.000 bis 1,2 Millionen betroffene Menschen!) gemessen an der Gesamtbevölkerung angegeben. Geschlechterverteilung: Der überwiegende Teil der Betroffenen ist weiblich. Die Angaben des Verhältnisses weiblich/männlich schwanken stark und werden mit 3-4 : 1 bis 9 : 1 angegeben. Einstiegsalter: Das Einstiegsalter liegt mehrheitlich zwischen 12 und 15 Jahren, also in der Pubertät. Es hat sein Maximum deutlich bei 13 Jahren. Altersstruktur: Selbstverletzung tritt am häufigsten in der Jugend und dem jungen Erwachsenenalter auf. Eine Internet-Umfrage der Rote Tränen-Seite mit 670 Teilnehmern (Stand 01.07.2002) zeigt, dass 75% der SVVler zwischen 14 und 19 Jahren alt sind. Ausführlich sieht die Verteilung folgendermaßen aus: 3% (bis 13 Jahre), 26% (14-15 Jahre), 28% (16-17 Jahre), 18% (18-19 Jahre), 8% (20-21 Jahre), 13% (22-30 Jahre), 4% (über 30 Jahre). Häufigkeit von SVV: Über die Häufigkeit von Selbstverletzungen kann folgendes gesagt werden. Nur 2% der Teilnehmer einer Studie haben sich ein einziges Mal verletzt, 23% verletzten sich 25 bis 50 mal, 47% verletzten sich öfter als 50 mal. Art der Selbstverletzung: In einer weiteren Untersuchung schnitten sich 72% der SVVler in die Haut, 35% verbrannten sich, 30% schlugen sich, 22% verhinderten die Wundheilung, 22% zerkratzten sich die Haut, 10% rissen sich Haare aus und 8% brachen sich die Knochen. Die Summe von mehr als 100 Prozent erklärt sich durch Mehrfachnennungen einzelner Personen. Körperteile: Beim Schneiden entfallen die meisten Verletzungen mit 85% auf die Extremitäten, 15% auf den Rumpf.

Tipps für Angehoerige

Wenn man bei einem Freund, Bekannten, Familienmitglied, o. ä. Anzeichen für SVV bemerkt, sollte man die Person auf keinen Fall im Beisein anderer oder gar in der Öffentlichkeit darauf ansprechen. Versuchen Sie zunächst sich in dieser Situation nichts anmerken zu lassen oder zeigen Sie nur durch einen verständnisvollen (!) Blick dass Sie es bemerkt haben. Auf keinen Fall Mitleid zeigen, oder Vorwürfe machen! Dann sollte man versuchen in einem ruhigen Moment mit der betroffenen Person darüber zu sprechen. Wenn man vor Gesprächsbeginn merkt das derjenige sich nicht wohlfühlt oder sogar schon sagt dass er nicht darüber reden will, sollte man ihn auf keinen Fall zum Gespräch zwingen. Dadurch erreicht man einzig und allein das sich die Person erst recht in sich zurückzieht. Durch Drohungen, Ausüben jeglichen Zwangs, Vorwürfen o. Ä. macht man alles nur noch schlimmer. Damit hilft man der betroffenen Person in keinster Weise, sondern treibt sie eher noch tiefer hinein! Wenn sich die Person also nicht auf ein Gespräch einlässt sollte man ihr trotzdem auf jeden Fall sagen und später auch immer wieder zeigen, dass man immer für sie da ist und das man sie so akzeptiert wie sie ist. Wenn sich die Person freiwillig auf ein Gespräch einlässt und von selbst sagt was los ist, warum es ihr schlecht geht, usw. sollten Sie ruhig zuhören und in jedem Fall zunächst Verständnis zeigen. Meist verbergen sich hinter SVV Ängste, deshalb sollten Sie versuchen der betroffenen Person die Ängste zu nehmen. Machen Sie immer wieder klar dass Sie helfen wollen und dass sie/er sich immer auf Sie verlassen kann. In beiden Fällen sollte man sich danach aber auch wirklich um die Person kümmern, denn wenn man der Person dann in irgendeiner Weise mit Ablehnung begegnet wird sie in ein tiefes Loch fallen und sich nur schwer wieder jemandem öffnen können. Dazu muss man wissen dass betroffene Personen oft dazu neigen sich in Dinge hineinzusteigern oder etwas in eine Sache hineininterpretieren die sich im Auge des Helfers ganz anders darstellt. Sei es einfach nur dass Sie keine Zeit haben wenn derjenige Sie anruft oder dergleichen, erklären Sie genau warum Sie keine Zeit haben und machen aber sofort einen anderen Vorschlag. Wenn ein Betroffener mit einem 'Ich habe jetzt keine Zeit' ohne Begründung abgespeist wird, wird er anfangen sich einzubilden dass Sie keine Lust haben sich mit ihm zu beschäftigen was ihm sehr weh tun wird, wenn Sie seine Vertrauensperson sind, da dann sofort (wieder) Ängste auftreten werden, zB dass sie/er allein gelassen wird. Auch wenn es nicht so ist, SVV-Betroffene sind davon meist fest überzeugt! Wenn man es schafft sie davon wegzubringen ist man einen großen Schritt weiter.

Synonyme

Selbstverletzung, selbstverletzendes Verhalten, SVV, Selbstschädigung, Autoaggression, Selbstaggression, Automutilation, Selbstverstümmelung, Ritzen, Cutten, Schneiden, Schnibbeln engl.: self-injury, SI, self-harm, self-mutilation, automutilation, self-inflicted violence

Wie verhalten sich Betroffene?

In der Regel werden die sichtbaren Zeichen von SVV wie Wunden und Narben durch entsprechende Kleidung kaschiert und so vor den anderen verborgen. Nur wenige Betroffene gehen damit offen um, manche sogar provokativ. SVVler schaffen es, durch gute schauspielerische Leistungen "nach außen bin ich immer fröhlich, wenn ich alleine bin, weine ich", ihre Probleme über Jahre vor der Familie und den Freunden geheim zu halten. Dieses Verhalten führt zu weiterem Druck, weil ja niemand etwas merken darf. Die Betroffenen haben Angst, ihr Umfeld zu enttäuschen, sie haben Angst vor Unverständnis und Ignoranz. Hilfsangebote von außen kann es wegen der Geheimhaltung nicht geben. Manche Betroffenen glauben sogar, ganz alleine mit ihrem "verrückten Verhalten" zu sein, glauben SVV für sich erfunden zu haben und ahnen nichts von den Tausenden an Leidensgenossen. Selbstverletzung ist halt ein Tabu-Thema! Trotzdem kann ein "ansteckender Charakter" von SVV in Schulen, Heimen oder Cliquen nicht ausgeschlossen werden. Schwierigkeiten im Umgang mit Selbstverletzungen können auch bei Bezugspersonen auftreten, nämlich dann, wenn sich die Gefühle von Pessimismus, Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit auf sie übertragen. Damit kann für die Helfer die Grenze der Belastbarkeit erreicht sein, und sie brechen aus Selbstschutz die Beziehung (Therapie) ab. Für die Betroffenen ist das eine Katastrophe, die sie in ihrer eigenen allgemeinen Negativ-Einschätzung, selbst nichts wert zu sein, bestärkt und unweigerlich zu neuen Selbstverletzungen führt.

Welche Therapiemoeglichkeiten gibt es?

Durch Psychotherapie haben die Betroffenen eine reelle Chance, von SVV loszukommen. Hierbei ist es wichtig, im Vorfeld abzuklären, ob der Therapeut auf dem Gebiet Selbstverletzung erfahren ist. Meist werden die zugrunde liegenden Probleme in Form von Gesprächen aufgearbeitet. Es gibt aber noch viele andere Arten von Therapie, stellvertretend möchte ich hier nur die Verhaltenstherapie und die Gestaltungstherapie nennen. Eine Therapie dauert im Durchschnitt zwischen zwei und vier Jahren. Je früher sie einsetzt und je geringer das Alter der Betroffenen ist, desto besser sind die Heilungschancen. Etwa ein Drittel der Betroffenen gilt statistisch allerdings als nicht therapierbar. Voraussetzung zur Heilung ist eine sichere und tragfähige Beziehung des Betroffenen, die kann zu einem Familienmitglied, einem Freund oder auch zum Therapeuten bestehen. Von der sicheren Gegenwart aus muss dann eine kurz- und mittelfristige Lebensplanung erarbeitet werden. Eine feste Partnerschaft wirkt grundsätzlich stabilisierend, kann SVV aber nicht immer verhindern. Trigger, also Auslöser von außen, können trotzdem Selbstverletzungen verursachen. Wie bei anderen Suchtformen auch, kann man sich als geheilt bezeichnen, wenn man fünf Jahre lang clean ist. Eine Gefährdung bleibt jedoch zeitlebens bestehen, weil SVV als konkrete Lösung in Problemsituationen erlebt wurde.

Alles nur Einbildung?

Nein, SVV ist sicherlich keine eingebildete Krankheit. Die Abhängigkeit davon ist auch nicht nur psychischer Natur, was heißen soll, sie basiert nicht nur auf den positiv erlebten Gefühlen von Erleichterung und sich wohl fühlen, sondern hat nachweislich auch eine physische Komponente. Man kann dem selbstverletzenden Verhalten biochemische Reaktionen zuordnen: Während der Selbstverletzungen werden vermehrt Endorphine ausgeschüttet. Das sind körpereigene Substanzen mit der Wirkungsweise von Opiaten. Wie bei großen körperlichen Anstrengungen, beispielsweise einem Marathonlauf oder einer Geburt, senken diese Stoffe das Schmerzempfinden oder schalten es sogar aus und erzeugen ein Glücksgefühl. Sie erzeugen aber gleichzeitig eine körperliche Abhängigkeit, wie wir sie von den körperfremden Opiaten Heroin und Morphin kennen. Es existieren zur Zeit noch verschiedene Hypothesen zu den genauen Wirkungsmechanismen, an denen mehrere Stoffe beteiligt sind. Der Suchtcharakter der Selbstverletzungen führt wie bei allen anderen Süchten auch zu einer Toleranzentwicklung. Das bedeutet hier, dass die Schnitte mit der Zeit tiefer und die Verletzungen häufiger werden. Die Betroffenen können, selbst wenn sie es wollen, nur in Ausnahmefällen spontan mit SVV aufhören. Wie bei anderen Suchtformen auch gibt es Entzugserscheinungen, die sich z.B. in Angst- und Panikattacken äußern können. Ein spezielles Medikament gegen SVV gibt es (noch) nicht. Die Medikation bei SVV behandelt ausschließlich die Begleitsymptome wie zum Beispiel Erregungszustände, Angst- und Panikattacken oder Depressionen. Eine Rückfallgefahr besteht praktisch ein Leben lang.

Mögliche Ursachen

Um die Ursachen für SVV herauszufinden, betrachtet man die Zeit von Kindheit bis Pubertät. Verschiedene Gegebenheiten während dieser Zeit können zuverlässige Indikatoren für die Häufigkeit wie auch die Schwere der Verletzungen sein. "... Vernachlässigung ist der stärkste Auslöser für SVV. Dieses deutet darauf hin, daß obwohl ein Kindheitstrauma ein starker Auslöser für den Beginn des selbstverletzenden Verhaltens ist, die Vernachlässigung dieses Verhalten aufrechterhält. Die, die sich nicht erinnern konnten, sich als Kind als etwas besonderes gefühlt zu haben oder von geliebt zu sein, waren am wenigsten fähig ihre Selbstverletzung unter Kontrolle zu bekommen." Opfer von sexuellem Missbrauch neigen am ehesten von allen zum Schneiden. Je früher der Missbrauch anfing, desto eher griffen die Betroffenen zum Messer und desto tiefer waren die Schnitte. Obwohl sexueller und physischer Missbrauch und Vernachlässigung SVV offensichtlich stark begünstigen, hält die Umkehrthese diesem nicht stand. Viele von denen die sich selber verletzen, haben in der Kindheit keinen Missbrauch erlebt. Linehan (1993a) spricht darüber, dass Leute mit SVV in krankmachender Umgebung aufgewachsen sind. Während natürlich Missbrauch ganz sicher krank macht, so gibt es jedoch auch andere, ganz "normale" Situationen, die auch krank machen können. Sie sagt: "Eine Umgebung, in der der Mensch nicht beachtet und geachtet wird ist eine, welche persönliche Erfahrungen unstet, unangemessen oder extrem spiegelt. In anderen Worten ist das Formulieren von eigenen Erfahrungen nicht erwünscht; anstatt dessen wird es oft bestraft und/oder ins Lächerliche gezogen. Das Formulieren von schmerzvollen Erfahrungen wird abgelehnt. Die persönliche Auslegung des eigenen Verhaltens, inklusive der Erfahrung, mit welcher Absicht und Motivation etwas getan wurde, werden abgewertet..." "Das was krank macht, hat zwei primäre Charakteristiken. Erstens sagt es dem Individuum, dass es falsch liegt, in der Beschreibung wie auch der Analyse der eigenen Erfahrung. Speziell die Sicht dessen, was seine Gefühle, seinen Glauben und seine Handlung hervorruft. Zweitens werden ihre Erfahrungen als von der Gesellschaft unakzeptable Charakteristika oder unakzeptable persönliche Züge eingestuft."